Bundesarbeitsgericht: Pfändungsschutz für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszulagen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. August 2017 – 10 AZR 859/16

  1. Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind Erschwerniszulagen iSv. § 850a Nr. 3 ZPO und damit im Rahmen des Üblichen unpfändbar.
  2. Zulagen für Schicht-, Samstags- oder sog. Vorfestarbeit sind dagegen der Pfändung nicht entzogen.
  3. Hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang und welcher Höhe Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit als „üblich“ und damit unpfändbar iSv. § 850a Nr. 3 ZPO anzusehen sind, kann an die Regelung in § 3b EStG angeknüpft werden.

Quelle und mehr: PM des Gerichts

siehe auch BGH: Steuerfreie Nachtzuschläge sind unpfändbar

Pfändungsschutz für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszulagen

BAG, Urteil vom 23. August 2017, Az. 10 AZR 859/16

Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind Erschwerniszulagen iSv. § 850a Nr. 3 ZPO und damit im Rahmen des Üblichen unpfändbar. Zulagen für Schicht-, Samstags- oder sog. Vorfestarbeit sind dagegen der Pfändung nicht entzogen. Hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang und welcher Höhe Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit als ”üblich“ und damit unpfändbar iSv. § 850a Nr. 3 ZPO anzusehen sind, kann an die Regelung in § 3b EStG angeknüpft werden.

Die Klägerin arbeitet bei der Beklagten, die Sozialstationen betreibt, als Hauspflegerin. Nach einem zwischenzeitlich aufgehobenen Insolvenzverfahren befand sich die Klägerin in der sog. Wohlverhaltensphase, in der sie ihre pfändbare Vergütung an einen Treuhänder abgetreten hatte. Im Zeitraum Mai 2015 bis März 2016 führte die Beklagte von der jeweiligen Nettovergütung der Klägerin den sich aus ihrer Sicht ergebenden pfändbaren Teil der Vergütung an den Treuhänder ab. Dabei berücksichtigte sie auch die an die Klägerin gezahlten tarifvertraglichen Zuschläge für Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht-, Samstags- und Vorfestarbeit als pfändbar. Die Klägerin, die diese Zuschläge als unpfändbare Erschwerniszulagen iSv. § 850a Nr. 3 ZPO ansieht, begehrt von der Beklagten Zahlung von insgesamt 1.144,91 Euro, die diese zu viel an den Treuhänder abgeführt habe. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Auf die Revision der Beklagten hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben. Die Vorinstanzen haben allerdings zutreffend angenommen, dass Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit Erschwerniszulagen iSv. § 850a Nr. 3 ZPO und deshalb unpfändbar sind. Der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 5 ArbZG die Ausgleichspflichtigkeit von Nachtarbeit geregelt, die von ihm als besonders erschwerend bewertet wurde. Sonntage und gesetzliche Feiertage stehen kraft Verfassung (Art. 140 GG iVm. Art. 139 WRV) unter besonderem Schutz. § 9 Abs. 1 ArbZG ordnet an diesen Tagen ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot an. Damit geht der Gesetzgeber auch hier von einer Erschwernis aus, wenn an diesen Tagen dennoch gearbeitet wird.

Eine entsprechende gesetzgeberische Wertung gibt es für Schicht-, Samstags- und Vorfestarbeit hingegen nicht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Sonderregelung des § 850a ZPO zwar dem Schuldnerschutz dient und diesem einen größeren Teil seines Nettoeinkommens als unpfändbar belassen will. Angesichts der ebenso in den Blick zu nehmenden Gläubigerinteressen bedarf die in § 850a Nr. 3 ZPO geregelte Unpfändbarkeit von Erschwerniszulagen aber einer sachlichen Begrenzung.

Quelle: Pressemitteilung des BAG vom 23.08.2017

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BSG, Urteil vom 10.08.2016, Az. B 14 AS 23/15 R

Finanzierung einer anwaltlichen Sozialen Schuldnerberatung durch eine Kommune

Leitzatz:
Ein Jobcenter handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn es für den Zugang zur entgeltlichen Schuldnerberatung auch von Volljuristen eine zusätzliche Beratungsausbildung oder die Zusatzqualifikation "Schuldnerberatung" fordert.

Aus den Gründen:
In der Sache ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Aufgaben der SGB II-Schuldnerberatung nach Einschätzung der Beklagten weiter reichen als die der anwaltlichen Schuldnerberatung. (...)
(...) stellt es weiter keinen Ermessensfehler dar, wenn die Beklagte in ihrer Verfahrensregelung die Erbringung von Schuldnerberatungsleistungen durch Juristen neben der juristischen Ausbildung zusätzlich von mehrjährigen Erfahrungen in der Schuldnerberatung und zudem entweder einer Beratungsausbildung im Umfang von mindestens 100 Stunden oder einer Zusatzqualifikation "Schuldnerberatung" abhängig macht. Dass die juristische Ausbildung allein regelhaft nicht die notwendigen Kenntnisse für eine von der Beklagten - zulässig - wesentlich auf psychosoziale Inhalte ausgerichtete Schuldnerberatung vermittelt, liegt auf der Hand.

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung vorläufiger Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 01. August 2017, 1 BvR 1910/12:

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben in einstweiligen Rechtsschutzverfahren anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob tatsächlich die notwendige Eilbedürftigkeit für eine vorläufige Leistungsgewährung vorliegt. Sie können die Eilbedürftigkeit von vorläufigen Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung deshalb nicht nur pauschal darauf beziehen, ob schon eine Räumungsklage erhoben worden ist.

Quelle und mehr: PM des Gerichts

Fakenews: „Bargeld diskriminiert die Armen“ (Süddeutsche Zeitung v. 21.8.2017;6/15)

Unter diesem Titel lässt Andrea Rexer in ihrem Interview „eine der mächtigsten Finanzfrauen … im Vorstand von Mastercard“ ohne kritische Zwischenfragen die Heilsbotschaft der Kreditkartenindustrie verkünden: bargeldlosen Zahlungen gehört die Zukunft mit Kreditkarte und Handy. Arbeitgeber verlangten sie und die Handyindustrie befördere sie zum Wohle der Armen weltweit (und naürlich der Frauen in Afrika in Afrika).

Reden wir vom selben? 1992 schrieb der Vater der Überschuldungsforschung, David Caplovitz über die „Kreditkartenmanie in Amerika“ (Reifner/Ford, Banking for People, S. 119 ff). Er behielt Recht. 16 Jahre später sollte sie zum Auslöser der Finanzkrise werden. Welche Wucherformen mit dieser ungeschützten Zahlungsform, die nicht mehr zwischen Kredit und Sparen unterscheidet, verbunden ist, haben wir ausführlich beschrieben. (Reifner, Die Finanzkrise 2017 S. 94-105)

Kreditkarten und Wucher

Bei Kreditkartenkrediten zahlt man die höchsten Zinsen, werden sie hemmungslos in zinstragendes Kapital verwandelt, entfällt der gesetzliche Verbraucherschutz bei Kreditabhebung, wird mit Kartengewirr und Nummernmissbrauch auf dem Internet betrogen, in Fallen gelockt und das auf die Spitze getrieben, was Caplovitz „improvident credit extension“ (unverantwortliche Kreditvergabe) nannte. Da hilft auch der Verweis auf die angeblich erfolgreichen Handy-Bezahlsysteme in Afrika nicht. Frau Cairns hat vergessen, dass die Bauern dafür teuer bezahlen müssen. In Indien und Bangladesh hat die unheilige Allianz der Großbanken mit der Handyindustrie und der philantropischen Microlending-Bewegung die letzten Spargroschen abgeschöpft. (dazu Reifner, Das Geld 2, 2017 S. 179 ff)

Die Freiheit des Bargeldes

Kreditkarten sind ein Produkt der Finanzindustrie. Sie diktiert die Konditionen und beutet nach der marktwirtschaftlichen Regel die Schwächsten aus. Sind sie überschuldet, zahlungsunfähig auf die Karte angewiesen, so akzeptieren sie alles, bis ihnen dann doch die Karte entzogen und über die SCHUFA verweigert wird. 4 Jahre Verbannung aus dem Zahlungsverkehr folgen.

Bargeld ist freier. Es ist diskriminierungsfrei und wird staatlich überwacht. Ob arm oder reich, der 10 € Schein kann niemandem aus prinzipiellen Gründen verweigert werden. Niemand darf ihn als Zahlungsmittel zurückweisen. Das war eines der großen Versprechen des Kapitalismus: im Geld sind alle gleich. Daran muss man inzwischen die Finanzapitalisten erinnern.

Die Kreditkartenindustrie sieht das nämlich anders. Sie hat die Kreditunwürdigen und die Gewinnträchtigen erfunden. Teilhabe ist Kalkül. Wo Gewinne winken ist Diskriminierung Menschenrecht. Die Armen zahlen mehr hieß der Titel von David Caplovitz Buch über Ratenkredite 1963 in New York, dessen Ergebnisse er 1991 auf den Kreditkartenmarkt übertrug.

Bargeld hat Grenzen

Bargeld ist allerdings teuer. Freiheit ist aber auch kostbar, soll es nicht allein die Freiheit von MasterCard werden. Doch es diese Freiheit verwandelt sich, wo es um viel Geld geht. Schon heute muss wer mehr als 10.000 € in bar zahlt, sich gegen den Verdacht der Geldwäsche legitimieren. Geldfreiheit und Geldgeheimnis bieten nicht nur Schutz vor Diskriminierung, sondern auch Schutz vor Steuer- und Strafgesetzen.

Ein bargeldloses Zahlungsverkehrssystem, das nicht diskriminiert und wuchert  und doch die Kriminalität bekämpft ist daher denkbar und nötig, allerdings wohl eher ohne MasterCard, Visa, Diners und American Express, die uns genug Kostproben gegeben haben. Ein solches System dürfte nicht gesetzlich privilegiert sein, sondern müsste eng geregelt und überwacht werden. Schon heute erklärt sich nicht, warum die EZB für dieses (Giral)Geld nicht zuständig ist.

Zu solchen Konzepten statt zum unter Frauenfreundlichkeit verstecktem Industriemarketing wäre ein Interview anregend. Da käme dann aber kaum noch eine ehemalige Ölmanagerin infrage, die die soziale Realität ihrer Produkte nicht kennt. Dafür gäbe es bei der SZ hätte sogar einen Redakteur, den wir bei Finanzdienstleistungen seit längerem schmerzlich vermissen. Er heißt Thomas Öchsner und wurde einmal mit dem Verbraucherpreis dekoriert. (Udo Reifner)

LSG NRW hält die Aufrechnung von Mietkautionsdarlehen für rechtswidrig

„Der 7. Senat des LSG NRW (Urt. v. 29.06.2017 – L 7 AS 607/17) hält die Aufrechnung von Kautionsdarlehen für rechtswidrig, es gebe keinen finanziellen Spielraum in den Regelleistungen für KdU-Bedarfe, die Aufrechnung sei eine Kann-Entscheidung, entscheidend gegen die Anwendung der Aufrechnungsermächtigung auf Mietkautionsdarlehen sprächen systematische und teleologische Erwägungen unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Interpretation.

Damit hat das erste LSG eine ganz klare Position gegen Aufrechnung von Wohnungsbeschaffungskosten abgegeben. Das Urteil ist unter https://sozialgerichtsbarkeit.de zu finden.“

Quelle: Thomé-Newsletter vom 6.8.2017. Siehe auch Kampagne gegen verfassungswidrige Aufrechnung unterhalb des Existenzminimums und LSG Hamburg zur Darlehensgewährung für Mietkaution: „Fachanweisung der BASFI greift zu kurz“