EuGH-Generalanwalt: Die automatisierte Erstellung eines Wahrscheinlichkeitswerts über die Fähigkeit einer Person, einen Kredit zu bedienen, ist ein Profiling im Sinne der DSGVO

Um es voran zu stellen: diverse Medien berichten prägnanter, nämlich

Die Pressemitteilung des EuGH formuliert es juristischer:

“Generalanwalt Pikamäe: Die automatisierte Erstellung eines Wahrscheinlichkeitswerts über die Fähigkeit einer Person, einen Kredit zu bedienen, ist ein Profiling im Sinne der DSGVO

Die Rechtssache C-634/21 betrifft einen Rechtsstreit zwischen einem Bürger und dem Land Hessen, vertreten durch den Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (im Folgenden: HBDI), hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten. Im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, die darin besteht, ihre Kunden mit Auskünften über die Kreditwürdigkeit Dritter zu versorgen, lieferte die SCHUFA Holding AG einem Kreditinstitut einen Score-Wert in Bezug auf diesen Bürger. Dieser Score-Wert diente als Grundlage für die Verweigerung des von diesem Bürger beantragten Kredits. Der Bürger forderte daraufhin die SCHUFA auf, die darauf bezogene Eintragung zu löschen und ihm Zugang zu den entsprechenden Daten zu gewähren. Die SCHUFA teilte ihm jedoch nur den entsprechenden Score-Wert und in allgemeiner Form die der Methode zur Berechnung des Score-Wertes zugrunde liegenden Grundsätze mit. Sie erteilte ihm aber keine Auskunft darüber, welche konkreten Informationen in diese Berechnung eingeflossen waren und welche Bedeutung ihnen in diesem Zusammenhang beigemessen wurde und begründete dies damit, dass die Berechnungsmethode dem Geschäftsgeheimnis unterliege. (…)

LSG Sachsen zum SGB II – Anspruch von Unionsbürger*innen

Der Paritätische weist auf das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen vom 6.12.2022 unter dem Aktenzeichen L 4 AS 939/20 hin.

Eine EU-Bürger*in hat mit einem geduldeten tunesischen Staatsbürger ein gemeinsames Kind, die Eltern sind nicht miteinander verheiratet, die Mutter ist während der Schwangerschaft „betriebsbedingt“ gekündigt worden. Das LSG Sachsen hat darin zum einen festgestellt, dass in diesem Fall der fortwirkende Arbeitnehmer*innenstatus nicht nach sechs Monaten endet, sondern sich um die Zeit des Mutterschutzes verlängert. Zum anderen führt der Schutz der Familie dazu, dass auch danach ein Anspruch auf SGB-II-Leistungen besteht, weil für die EU-Bürger*in ein fiktiver Anspruch auf ein humanitäres oder familiäres Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG besteht.

Ausführlich unter www.der-paritaetische.de

Nora Ratzmann: Warum werden EU-Bürger*innen in deutschen Jobcentern benachteiligt?

PM Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM):

Bürger*innen aus Ländern der Europäischen Union, die in Deutschland leben, haben Anspruch auf Sozialleistungen. In der Praxis stoßen sie jedoch häufig auf Hürden und können ihre Ansprüche deshalb nicht geltend machen. Woran liegt das? Und wie lassen sich diese Hürden abbauen? Das hat die Sozialwissenschaftlerin Dr. Nora Ratzmann untersucht. Ihre Ergebnisse veröffentlicht das DeZIM-Institut jetzt in einer Research Note.  

EU-Bürger*innen stellen eine der größten Gruppen von Zuwander*innen in Deutschland. Nach dem EU-Freizügigkeitsgesetz können sie hierzulande unter genau definierten Voraussetzungen Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld I oder grundsichernde Leistungen, das so genannte Arbeitslosengeld II, beantragen. Ausländischen Antragsteller*innen, die ihre Rechte nicht kennen, kein Deutsch können und denen die Feinheiten der deutschen Bürokratie fremd sind, fällt es schwer, diese Ansprüche geltend zu machen. Das zeigt eine Studie von Dr. Nora Ratzmann zum Bezug von Arbeitslosengeld II. Sie hat dazu Betroffene interviewt, die seit 2004 aus einem anderen EU-Land nach Deutschland gezogen waren, sowie Mitarbeitende von Jobcentern und Sozialberatungsstellen.

In den Fällen, die ich untersucht habe, konnten nur diejenigen Antragsteller*innen ihre Ansprüche erfolgreich geltend machen, die über ihre Rechte und Pflichten sehr genau informiert und mit der deutschen Sprache einigermaßen vertraut waren, bevor sie an ihr örtliches Jobcenter herantraten“, sagt Dr. Nora Ratzmann„Wer dagegen erst um weitere Informationen bitten musste oder nicht in der Lage war, seinen bzw. ihren Antrag zu begründen, erhielt oft keine Sozialleistungen. Diese Erfahrung machten sowohl gering qualifizierte Antragssteller*innen aus Bulgarien als auch hochqualifizierte Fachkräfte aus Frankreich. Viele fühlten sich deswegen diskriminiert.“

EuGH: Ein Unionsbürger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Aufnahmemitgliedstaat begründet hat, kann nicht deshalb während der ersten drei Monate seines Aufenthalts vom Bezug von Kindergeld ausgeschlossen werden, weil er keine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat bezieht

Aus der PM des EuGH zu Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-411/20 vom 1.8.2022: “Mit seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass jeder Unionsbürger, auch wenn er wirtschaftlich nicht aktiv ist, das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten hat, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht, solange er und seine Familienangehörigen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. In diesem Fall ist ihr Aufenthalt grundsätzlich rechtmäßig. Während dieser Zeit genießen die Unionsbürger vorbehaltlich vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen die gleiche Behandlung wie Inländer. (…)

Das in Rede stehende Kindergeld stellt aber keine Sozialhilfeleistung im Sinne dieser Ausnahmebestimmung dar. Es wird nämlich unabhängig von der persönlichen Bedürftigkeit seines Empfängers gewährt und dient nicht der Sicherstellung seines Lebensunterhalts, sondern dem Ausgleich von Familienlasten.”

EuGH: Ein Unionsbürger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Aufnahmemitgliedstaat begründet hat, kann nicht deshalb während der ersten drei Monate seines Aufenthalts vom Bezug von Kindergeld ausgeschlossen werden, weil er keine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat bezieht

Aus der PM des EuGH zu Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-411/20 vom 1.8.2022: “Mit seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass jeder Unionsbürger, auch wenn er wirtschaftlich nicht aktiv ist, das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten hat, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht, solange er und seine Familienangehörigen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. In diesem Fall ist ihr Aufenthalt grundsätzlich rechtmäßig. Während dieser Zeit genießen die Unionsbürger vorbehaltlich vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen die gleiche Behandlung wie Inländer. (…)

Das in Rede stehende Kindergeld stellt aber keine Sozialhilfeleistung im Sinne dieser Ausnahmebestimmung dar. Es wird nämlich unabhängig von der persönlichen Bedürftigkeit seines Empfängers gewährt und dient nicht der Sicherstellung seines Lebensunterhalts, sondern dem Ausgleich von Familienlasten.”

EuGH zur Buttonlösung: einzig auf die Worte auf der Schaltfläche kommt es an

Vor zehn Jahren wurde die sog. Buttonlösung eingeführt (vgl. § 312j BGB). Nun hat der EuGH klargestell, Urteil 07.04.2022 (C-249/21):

Auf elektronischem Wege geschlossener Vertrag: Damit ein solcher Vertrag wirksam zustande kommt, muss der Verbraucher allein anhand der Worte auf der Schaltfläche für die Bestellung eindeutig verstehen, dass er eine Zahlungsverpflichtung eingeht, sobald er diese Schaltfläche aktiviert

Quelle und mehr: PM des Gerichts – siehe auch Meldung vzbv

In der Sache geht es um die Wirksamkeit des Buttons “Buchung abschließen” auf booking.com. Lesenswert AG Bottrop, 24.03.2021 – 12 C 158/19, welches den EuGH die Frage vorgelegt hat. Daraus am Ende:

“Denn der Begriff der ,,Buchung” ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht zwangsläufig mit der Eingehung einer Verpflichtung zur Zahlung eines Entgelts verbunden, sondern wird häufig auch als Synonym für eine unentgeltliche Vorbestellung oder Reservierung verwendet. Hiernach wäre die Pflicht des g 312j Abs. 3 S. 2 BGB als nicht erfüllt anzusehen mit der Folge, dass eine Verbindlichkeit des Beklagten wegen S 312j Abs. 4 BGB nicht begründet wäre.”

EuGH zur Buttonlösung: einzig auf die Worte auf der Schaltfläche kommt es an

Vor zehn Jahren wurde die sog. Buttonlösung eingeführt (vgl. § 312j BGB). Nun hat der EuGH klargestell, Urteil 07.04.2022 (C-249/21):

Auf elektronischem Wege geschlossener Vertrag: Damit ein solcher Vertrag wirksam zustande kommt, muss der Verbraucher allein anhand der Worte auf der Schaltfläche für die Bestellung eindeutig verstehen, dass er eine Zahlungsverpflichtung eingeht, sobald er diese Schaltfläche aktiviert

Quelle und mehr: PM des Gerichts – siehe auch Meldung vzbv

In der Sache geht es um die Wirksamkeit des Buttons “Buchung abschließen” auf booking.com. Lesenswert AG Bottrop, 24.03.2021 – 12 C 158/19, welches den EuGH die Frage vorgelegt hat. Daraus am Ende:

“Denn der Begriff der ,,Buchung” ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht zwangsläufig mit der Eingehung einer Verpflichtung zur Zahlung eines Entgelts verbunden, sondern wird häufig auch als Synonym für eine unentgeltliche Vorbestellung oder Reservierung verwendet. Hiernach wäre die Pflicht des g 312j Abs. 3 S. 2 BGB als nicht erfüllt anzusehen mit der Folge, dass eine Verbindlichkeit des Beklagten wegen S 312j Abs. 4 BGB nicht begründet wäre.”

Eintragung einer Restschuldbefreiung durch die SCHUFA: Vorlage zum Europäischen Gerichtshof

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden meldet zu seinem Beschluss vom 31.08.2021 – 6 K 226/21.WI: “Gegenstand des Verfahrens vor dem VG Wiesbaden ist das Begehren des Klägers, die Eintragung einer Restschuldbefreiung aus dem Verzeichnis der SCHUFA Holding AG, einer privaten Wirtschaftsauskunftei, zu löschen. Die Information hinsichtlich der Restschuldbefreiung stammt aus den Veröffentlichungen der Insolvenzgerichte, bei denen sie nach 6 Monaten gelöscht wird. Bei der SCHUFA erfolgt eine Löschung gemäß der „Verhaltensregeln für die Prüf- und Löschfristen von personenbezogenen Daten durch die deutschen Wirtschaftsauskunfteien“ vom 25.05.2018 des Verbandes „Die Wirtschaftsauskunfteien e.V.“ erst 3 Jahre nach der Eintragung. In Bezug auf die Löschung wandte sich der Kläger mit einer Beschwerde an den Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit als Aufsichtsbehörde, der auf die Löschung der Eintragung bei der SCHUFA Holding AG hinwirken solle. Dieser lehnte das Begehren des Klägers jedoch ab.

Die 6. Kammer des VG Wiesbaden hat mit Beschluss vom 31.08.2021 entschieden, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Fragen zur Klärung vorzulegen. (mehr …)

“Bankkunden kommen Dank DS-GVO nun einfach und kostenlos an Uralt-Kontoauszüge”

Unter der etwas knalligen Überschrift “Bankkunden kommen Dank DS-GVO nun einfach und kostenlos an Uralt-Kontoauszüge” fasst RA Martin Riemer eine Entscheidung des Amtsgerichts Bonn vom 30.07.2020 (Az.: 118 C 315/19) zusammen.

Aus der Entscheidung, die auch in der VuR 2020, 464 von RA Arne Maier vorgestellt wird:

Dem Kläger steht im Hinblick auf die nun noch streitgegenständlichen Bankbewegungen auf dem Konto mit der Kundenstammnummer # ######### ein Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 Abs.1 DS-GVO zu. (…)

(mehr …)

EuGH: Anspruch auf SGB-II-Leistungen für schulpflichtige Kinder ehemaliger Arbeitnehmer*innen und ihre Eltern

Der EuGH meldet: “Ein früherer Wanderarbeitnehmer und seine Kinder, denen ein Aufenthaltsrecht aufgrund des Schulbesuchs der Kinder zusteht, können nicht mit der Begründung, dass dieser Arbeitnehmer arbeitslos geworden ist, automatisch von nach dem nationalen Recht vorgesehenen Leistungen der sozialen Grundsicherung ausgeschlossen werden” EuGH, Urteil vom 6.10.2020 in der Rechtssache C-181/19. Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit c) SGB II ist europarechtswidrig und somit unanwendbar.

Zum Hintergrund (von Claudius Voigt, Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V.):
Nach Art. 10 VO 492/2011 haben die Kinder einer Unionsbürgerin, die in Deutschland beschäftigt ist oder früher beschäftigt gewesen ist, das Recht, „unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teil(zu)­nehmen.“ Dies gilt auch dann, wenn der Elternteil die Arbeitnehmerinneneigenschaft mittlerweile verloren hat (mehr …)