Manuela Rottmann, Obfrau der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, erklärt [Klammerlinks von uns]:
“Selbständige und Verbraucher hätten noch vor der Sommerpause Sicherheit gebraucht, dass es auch nach einer Insolvenz in Folge des wirtschaftlichen Einbruchs der letzten Monate für sie weiter geht. Deshalb haben die Grünen schon zu Beginn dieser Einschränkungen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie die sofortige Verkürzung der Frist zur Restschuldbefreiung von bislang sechs auf nur noch drei Jahre gefordert [vgl.]. Der Verband der Insolvenzverwalter hat sich der Forderung der Grünen angeschlossen [vgl.]. Verbote gewerblicher Betätigung sollten zudem nicht mehr allein auf die Insolvenz gegründet werden können. Um einen Neustart zu erleichtern, muss außerdem die Speicherung der Insolvenz durch Schuldnerauskunfteien auf ein Jahr nach Abschluss des Insolvenzverfahrens begrenzt werden. Darüber hinaus lässt sich keine Rechtfertigung für eine Speicherung mehr begründen. Wegen der Dringlichkeit hat die Grüne Bundestagsfraktion dazu bereits im April einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht (BT-Drs. 19/18681).
Nach langem Zögern kündigte die Bundesregierung im Rahmen ihres sogenannten Konjunkturpakets zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie an, die Wohlverhaltensperiode auf drei Jahre zu verkürzen.
Der heute vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf [hier] ist allerdings eine große Enttäuschung: Er kommt viel zu spät, er setzt Fehlanreize, er hilft gerade denen nicht, die durch die Pandemiebekämpfung unverschuldet ihre Forderungen nicht mehr bedienen können.
Durch das lange Zuwarten der Justizministerin kann der Bundestag die Restschuldbefreiung erst nach der parlamentarischen Sommerpause vom Bundestag beschließen. Dabei brauchen die Menschen jetzt eine verlässliche Grundlage für die Entscheidung über ihre Zukunft.
Noch schlimmer: Für alle Insolvenzanträge, die vor dem 1. Oktober 2020 gestellt werden, verkürzt sich die Frist zur Restschuldbefreiung nur allmählich [vgl.]. Wer am 30.9.2020 einen Insolvenzantrag stellt, weil er wegen Kurzarbeit oder Einschränkungen seiner wirtschaftlichen Betätigung seine Forderungen absehbar nicht mehr bedienen kann, muss nach dem Regierungsentwurf vier Jahre und zehn Monate auf eine Restschuldbefreiung warten. Wer den Antrag einen Tag später am 1.10.2020 stellt, kann damit in drei Jahren rechnen. Das ist der dümmste aller denkbaren Kompromisse. Mit dem Regierungsentwurf werden so starke Anreize gesetzt, dass ein Schuldner, auch wenn er weiß, dass eine Insolvenz unvermeidbar ist, den Antrag bis zum 1.10.2020 hinauszögert. Es wird also genau das zusätzliche Risiko für Gläubiger geschaffen, das die Koalition angeblich vermeiden will. Eine sofortige Verkürzung der Frist gerade angesichts der zahlreichen zu erwartenden unverschuldeten Insolvenzen wäre für den Markt viel sicherer gewesen und hätte solch taktisches Verhalten ausgeschlossen.
Falsch ist es auch, dass die Koalition die jahrelange Speicherung der Informationen über das Insolvenzverfahren bei Auskunfteien beibehalten will. Hier wurde der Lobby derjenigen nachgegeben, die mit solchen Informationen ihr Geld verdienen. Gerade Menschen, die jetzt unverschuldet zahlungsunfähig geworden sind, hängt man damit einen Mühlstein um den Hals, der einen Neuanfang, etwa den Abschluss von Miet- oder Darlehensverträgen, deutlich erschwert.
Schließlich wird die Verkürzung der Restschuldbefreiung auf drei Jahre für Verbraucherinnen und Verbraucher befristet. Auch das ist Unsinn. Die Evaluation der bisherigen Insolvenzrechtsreformen hat gezeigt, dass Insolvenzen im Verbraucherbereich weit überwiegend auf Ereignisse wie Scheidung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurück zu führen sind [vgl.] und dass lange Fristen die Schuldner bei der Überwindung ihrer Krisen behindern, den Gläubigern aber keine nennenswerte zusätzliche Befriedigung ihrer Forderungen bringen.
Im drastischsten Wirtschaftseinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik hätten die Menschen ein Signal des Vertrauens in ihren Neuanfang gebraucht. Von der Bundesregierung schlägt ihnen aber nur Misstrauen und Gängelei entgegen.”